Laut Wissenschafter:innen kultivierte der Mensch von weltweit etwa 300.000 essbaren Pflanzen ungefähr 7000 als Nutzpflanzen und deckt seinen Kalorienbedarf heute hauptsächlich über den Konsum von 30 unterschiedlichen Pflanzen ab. Im Laufe des 20. Jahrhunderts sind rund 75 % der Kulturpflanzenvielfalt unwiederbringlich verloren gegangen.

Kulturpflanzen entwickelten sich aus dem gezielten Anbau von Wildpflanzen durch den Menschen. Durch Saatgutgewinnung, -tausch und Wieder-Aussaat, war die genetische Durchmischung auf regionaler Ebene für lange Zeit gesichert. Durch diesen Umstand waren die lokalen Sorten durch Selektionsprozesse sehr gut an ihren Lebensraum und das vorherrschende Klima angepasst. Die daraus entstandenen Sorten werden heute „Landsorten“ oder „Alte Sorten“ genannt, weisen eine hohe Ertragssicherheit auf und sind aufgrund ihrer genetischen Vielfalt resistenter gegen Standortschwankungen wie etwa Witterungseinflüssen. Da sie im Vergleich zu modernen Hochleistungssorten aber weniger ertragreich sind, wurden sie in den letzten 100 Jahren vermehrt von den Feldern verdrängt.

Schwindende Kulturpflanzenvielfalt

Im Verlauf der letzten 100 Jahre verschwanden rund 75 % der Kulturpflanzenvielfalt. Die Ursachen sind vielfältig: Verdrängung durch neu eingeführte und ertragreichere Arten, Unternutzung durch mangelnde wirtschaftliche Leistung, Nutzungsveränderungen von Flächen wie etwa Haus- oder Bauerngärten und die Industrialisierung der Landwirtschaft sind nur einige der nennenswerten Gründe.

Industrielle Saatgutgewinnung und -vermehrung setzt vor allem auf Hybridsorten, deren Saatgut nicht samenfest ist. Das heißt, dass aus dem bezogenen Saatgut Pflanzen wachsen, deren Samen nicht wieder mit denselben Eigenschaften vermehrungsfähig sind. Landwirt:innen müssen also jedes Jahr neues Saatgut kaufen, statt es selbst gewinnen und vermehren zu können. Die Hybridpflanzen weisen eine hohe genetische Ähnlichkeit auf und produzieren Früchte mit annähernd gleicher Größe, Form, Farbe und Geschmack.

Das Recht auf Kulturpflanzenvielfalt

Bäuer:innen weltweit vermehrten, verkauften, tauschten und züchteten Saatgut über viele Generationen weiter, somit leisteten sie einen großen Beitrag bei der Entstehung neuer Kulturpflanzen. Gerade für Bäuer:innen im Globalen Süden bedeutet die Kommerzialisierung der Saatgutindustrie starke wirtschaftliche Einbußen und stellt eine ernstzunehmende Bedrohung ihrer Existenz dar. Lokale Sorten sind immer auch großer Teil der jeweiligen Kultur und prägend für die Identität der einzelnen Akteur:innen, aber vor allem für die Gemeinschaft. Durch die Patentierung von Saatgut wird die Nutzung noch weiter eingeschränkt. Obwohl das europäische Patentrecht die Patentierung von Pflanzen und Tieren ausdrücklich verbietet, wurden in den letzten Jahren rund 200 Patente auf Sorten aus klassischer Züchtung erteilt.

Die Erhaltung der Sortenvielfalt ist auch unter dem Aspekt der Klimakrise relevant – höhere Sortenvielfalt bedeutet höhere genetische Vielfalt und bietet damit bessere Anpassungsmöglichkeiten an das sich verändernde Klima. Nur mit einer hohen Kulturpflanzenvielfalt kann die Ernährungssicherheit der nächsten Generationen aufrechterhalten werden.

Zum Weiterlesen

Verein Arche Noah: Wozu Vielfalt?

Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.: In Gefahr – der Ursprung aller Nahrungsmittel


Quellen

John Waren (2016): Why do we consume only a tiny fraction of the world's edible plants? www.weforum.org/agenda/2016/01/why-do-we-consume-only-a-tiny-fraction-of-the-world-s-edible-plants

Verein Arche Noah (2022): Alte Sorten - Raus aus der Nische. www.bio-austria.at/a/bauern/alte-sorten-raus-aus-der-nische

Spektrum (1999): Lexikon der Biologie: Landsorten. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Timaeus J. (2017): Die Entstehung der Kulturpflanzenvielfalt früher und heute - der Differenzierungs-Hybridisierungs-Zyklus. https://bio-kultur.org/2017/03/31/die-entstehung-der-kulturpflanzenvielfalt-frueher-und-heute-der-differenzierungs-hybridisierungs-zyklus

No patents on seeds (o.D.): Was ist das Problem? www.no-patents-on-seeds.org/de/hintergrund/was-ist-das-problem