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Let’s talk sustainable!

Digitales Weltcafé zur Nachhaltigkeitskommunikation

Ein Diskursevent, bestehend aus Fokusgesprächen und einer öffentlichen, live auf YouTube gestreamten Podiumsdiskussion mit prominenten Gästen aus Wirtschaft, Politik und Kommunikationswissenschaft, moderiert von Standard-Journalistin Karin Bauer, das sind die Höhepunkte der dritten und letzten Future Lecture des Jahres 2020.

Projektunterricht als Vorstufe

Dem Event am 27. November ist ein Unterrichtsprojekt vorangegangen, das am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien im Rahmen dreier Lehrveranstaltungen von 30 Studierenden und Lehrenden unter Leitung von Andreas Scherlofsky konzipiert, vorbereitet und durchgeführt wurde. Acht prominente Medien mit Nachhaltigkeitsbezug konnten als Partner gewonnen werden: DerStandard, Filmladen, Lebensart/Businessart, Radio Orange, Falter, Biorama, Forstzeitung und oekonews.at.

Das Konzept entsteht in einer Bachelor-Seminargruppe, wo 6 Studierende an Arbeiten zur Nachhaltigkeitskommunikation arbeiten. Die Umsetzung ab Oktober erfolgt im Rahmen der Übung PR – Kommunikation für Nachhaltigkeit, und der Übung Journalismus, geleitet von Manfred Bobrowsky.

Ein Kernteam aus zwei Lehrenden und zwei Studierenden sorgen für Feinkonzept und Koordination. Die 21 Übungsteilnehmenden bilden 8 Arbeitsgruppen und erarbeiten weitgehend eigenverantwortlich die Details, wobei sie sich in vielem eigenständig schulen und ihre Talente entsprechend einsetzen: eine Projektwebsite mit Anmeldesystem, ein Inserat für den Standard, einen Werbe-Jingle für Radio Orange, APA-Presseaussendungen, Facebook- und Instagram-Auftritt, Direct Mailings an Publizistikstudierende und -lehrende, Webbeiträge für Partner-Websites, usw. Weitere Teams arbeiten sich in die Kunst der Zoom-Webinarregie und in das Event-Streaming ein; eines der Teams organisiert für den Montag nach der Lecture ein Filmgespräch zum Thema Nachhaltigkeit als Filmthema mit zwei österreichischen Filmemachern und dem Geschäftsführer des Filmladen-Verleihs. Den Abschluss setzt das Give-Away-Team, das zusätzlich zu angekauften Bioteesäckchen auch Sponsoringgaben von Fairtrade und Babettes Gewürzladen organisierte und, versehen mit einem handschriftlichen Dankeschön, allen Mitwirkenden am Event übermittelt. Eine schöne symbolische Geste, denn alle Beteiligten wirken ohne Honorar am Event mit.

Nachhaltigkeit als Überlebensfrage

Ziel des Diskursevents ist die Stärkung der Kommunikation pro Nachhaltigkeit und die Reduktion der Kommunikation kontra Nachhaltigkeit.

Nach der Begrüßung durch die stellvertretende Institutsvorständin Sabine Einwiller, erläutert Peter Iwaniewicz (Bundesministerium für Klimaschutz) die Begriffsgeschichte von Sustainable Development und Nachhaltigkeit. Beschränkungen bezüglich des Ressourcenverbrauchs seien wesentlich. Eine Herkulesaufgabe sei die Entstehung der Agenda 2030 mit den 17 Sustainable Development Goals 2015 gewesen. Ihre Kernaussage bestehe darin, alle Bevölkerungsgruppen mitnehmen zu wollen, nicht nur die Bildungseliten, und dafür spiele Kommunikation eine wesentliche Rolle.

Kommunikation als Problemverursacher und als Wegbegleiter

In seinem Impuls verwies Andreas Scherlofsky (Universität Wien), ausgehend von Dennis Meadows’ „Grenzen des Wachstums“ und alarmierenden aktuellen Studien auf die zwiespältige Schlüsselrolle der Kommunikation: einerseits als Krisenverursacher, etwa in Form von Werbung und Marketing für immer mehr und immer schnelleren materiellen Konsum, oder durch Lobbyismus zur Verhinderung notwendiger Steuerungsmaßnahmen; andererseits als Katalysator für Nachhaltigkeit, etwa durch Umweltbildung, unabhängige nachhaltige Konsumberatung, oder durch Filmemacher und NGOs als Aufdecker*innen von Missständen und als Vermittler von Lösungen und Alternativen.

Ausgehend von den in Paris beschlossenen Klimazielen und von den Berechnungen zum CO²– und zum Ökologischen Fußabdruck, müsse der materielle Verbrauch beispielsweise in Mitteleuropa im Verhältnis von 10:1 bis 3:1 reduziert werden. Kommunikation sei dabei ein wesentlicher Schlüsselfaktor zum Gelingen.

Fokusgruppen mit Kommunikationsprofis und Studierenden

Es diskutieren bzw. moderieren insgesamt 7 Studierende und 23 geladenen Expert*innen aus Schlüsselbereichen zu aktuellen Problemzonen der Kommunikation: von NGOs, Medien, aus dem Bildungsbereich sowie von Behörden, Unternehmen und vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Das Ziel der Fokusgespräche ist die Erarbeitung von Vorschlägen zur Verbesserung der Kommunikation, in einem vom Worldcafe-Konzept abgeleiteten Setting mit kleinen, kurzen, moderierten Sessions, wobei sich jede*r Teilnehmende in zwei der folgenden vier Themen einbringen konnte:

  1. Journalismus und Nachhaltigkeit: die Rolle der Medien als 4. Macht im Staat. Was fördert, was behindert qualitativen Journalismus zu Nachhaltigkeitsthemen? Was funktioniert gut, was weniger? Wo liegen die Grenzen? Welche externen Rahmenbedingungen sind zu klären?
  2. Nachhaltigkeitskommunikation der Unternehmen: zwischen ehrlichem Engagement und Greenwashing. Was ist von Nachhaltigkeits-PR und CSR-Berichten zu halten? Wie sieht die unternehmensinterne Praxis und Kommunikation aus? Was könnten Firmen außer Greenwashing tun, wenn sie bisher von der Verbreitung nicht-nachhaltiger Produkte lebten?
  3. Informations-Ungleichgewichte: wie wirksam sind Umweltbildung, unabhängige Ecolabel und Einkaufsberatung in der öffentlichen Gesamtkommunikation? Und wie stark sind dem gegenüber Marketing & Werbung bezüglich „immer-mehr“, „immer-schneller“, „immer-schneller-kaputt“? Wie könnte ein Gleichgewicht hergestellt werden, welches Voraussetzung für mündigen Konsum ist?
  4. Welche Kampagnen braucht das Land? Öffentliche Einrichtungen und NGOs bemühen sich engagiert, und letztere auf Spendenbasis(!), um die Aufdeckung von sozialen und ökologischen Missständen. Was ist ihre Rolle und Wirkung im Spiel der Kräfte? Was sind ihre kommunikativen Erfahrungen und Vorschläge?

Die ursprünglich geplante fünfte Arbeitsgruppe über den „Nachhaltigkeits-Beitrag der Kommunikationswissenschaft“ muss kurzfristig gestrichen werden, soll aber zu einem späteren Zeitpunkt in geeigneter Form nachgeholt werden.

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Podiumsdiskussion

Die in den vier Fokusgesprächen erarbeiteten Vorschläge werden anschließend in einer auf YouTube gestreamten Podiumsdiskussion präsentiert und prominent diskutiert. Moderiert von Karin Bauer (Der Standard), nahmen dabei Wolfram Tertschnig (Bundesministerium für Klimaschutz), Alice Niklas (Arbeiterkammer Wien), Christoph Haller (Wirtschaftskammer Österreich) und Thomas Bauer (Kommunikationswissenschaftler der Universität Wien) zu allen vier Fokusstatements Stellung. Aus dieser Diskussion soll in der Nachbereitung eine Liste mit konstruktiven Anregungen für eine gemeinsame Strategie zur Verbesserung der Nachhaltigkeitskommunikation erarbeitet werden. Im Folgenden einige wesentliche Ideen:

  • Partizipation und Bildung – Nachhaltigkeit betrifft alle. Um möglichst viele Personen mit dem Nachhaltigkeitsthema erreichen zu können, muss das Gefühl des gesellschaftlichen Zusammenhalts aller in Österreich lebender Menschen gefördert werden, gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht sowie Verantwortung in allen Lebensbereichen wahrgenommen und erlebt werden. Betroffene müssten zu Beteiligten werden. Mündige Bürger*innen würden eher nachhaltig handeln. Nachhaltigkeit gehöre ab dem Kindergarten ins Bildungscurriculum. Die Entwicklung von Grundkonzepten zu Nachhaltigkeit müsste unabhängig von Familiensprachen ermöglicht werden, z. B. durch mehrsprachige Bildungsmaterialien. Die Aufgabe der Bildung sei es nicht, die Komplexität von Nachhaltigkeit zu reduzieren, sondern sie zumutbar zu machen sowie Räume für Begegnung und Austausch unterschiedlicher Sichtweisen zu schaffen. So könnte gemeinsam ein positives Narrativ dazu entwickelt werden.
  • Wirtschaft, Ressourcenverbrauch und Lebensstil – Ein gutes Leben sei mit viel weniger Ressourcen möglich. Hier müsse man laut Thomas Weber (Biorama) vom Slogan „Weniger ist schwer“ wegkommen hin zu „Weniger ist mehr“. Agnes Zauner (Global 2000) betonte, dass in der Nachhaltigkeitskommunikation Consumer Relevance wesentlich wäre, also das Aufzeigen, was jede*r tun könne, um systemische Änderungen hervorzurufen. Die Diskutant*innen warnten aber davor, die Verantwortung ausschließlich auf Konsument*innen abzuschieben, daher wurden mehrmals Forderungen nach geeigneten politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen laut. Die Ideen reichten von einer ökosozialen Steuerreform, dem Schaffen von Anreizsystemen, die es einfacher machen, nachhaltige Leistungen anzubieten und zu konsumieren, über die Abschaffung schädlicher Subventionen, klareren Gesetzen zu Nachhaltigkeitsberichten von Unternehmen bis zum Ausbau von Regulatorien, z. B. Werbeverbote für besonders umweltschädliche und sozial unfaire Produkte.
  • Nachhaltigkeit im Journalismus – Wolfram Tertschnig zeigt das Problem der Reduktion von Nachhaltigkeit auf die ökologische Komponente auf: die soziale und wirtschaftliche Komponente sowie die Zukunftsorientierung seien viel weniger präsent. Andere Diskutant*innen behandeln das Medienphänomen Greta Thunberg mit ihrer Wut und Angst um die Zukunft, die diese Vorstellung von Nachhaltigkeit etwas zurechtrücke. Publizistikprofessor Thomas Bauer plädiert dafür, dass Journalismus selbst nachhaltiger werden müsse. Nachhaltigkeit sei nicht nur ein Thema, sondern auch ein Kultur- und Verhaltenswert. Darüber müsse weniger nachrichtenorientiert als diskursorientiert berichtet und das Zustandekommen von Dialogen zwischen Menschen unterschiedlicher Meinungen forciert werden. Ein dritter Themenbereich betrifft Digitalisierung und Social Media. Diese seien für den Journalismus eine große Chance, den Kreis der angestammten Leser*innenschaft zu erweitern und die Rolle als vierte Macht im Staat wahrzunehmen. Würden in Österreich Opinion Leader wie Armin Wolf (ORF) oder Florian Klenk (Falter) Nachhaltigkeit zum Thema machen, erreichten sie über Social Media so viele Menschen, wie die Kronen Zeitung in ihren besten Zeiten.

Nächste Schritte aus Sicht der Expert*innen

In der Schlussrunde schildern die Expert*innen dringende nächste Schritte:

Alice Niklas (AK) plädiert dafür, das Gesetz über nachhaltige Berichterstattung von Unternehmen (NaDiVeG) klarer zu formulieren und auf einen größeren Kreis von Unternehmen auszuweiten. Die Anliegen der Arbeiter*innen und Angestellten müssen in diese Berichterstattung gut einbezogen, Management und Aufsichtsräte verstärkt sensibilisiert werden.

Christoph Haller (WKÖ) hofft, dass die Bewusstseinsbildung in Kleinen und Mittleren Unternehmen dazu führe, Nachhaltigkeit dort „in die Breite zu bekommen“. Sowohl Konsument*innen als auch Unternehmen müssen besser informiert und gebildet werden.

Thomas Bauer (Uni Wien) betont, dass Nachhaltigkeit auch mit Gesundheit und Chancenverteilung zusammenhänge (wie auch in der Corona-Krise sichtbar). So müssen individuelle und kollektive Verhaltensroutinen hinterfragt und neue Handlungsmuster entwickelt werden.

Wolfram Tertschnig (BMK) skizziert wichtige Schritte in Verwaltung und Politik. Diskurse müssen organisiert sowie ein gemeinsames Verständnis über Ziele geschaffen werden. Kommunikation dürfe nicht an Informationsbarrieren scheitern. Für eine höhere Beteiligung der Bevölkerung müssen die richtigen Rahmenbedingungen für ein gemeinsames, interdisziplinäres und transdisziplinäres Verständnis geschaffen werden, und zwar sektorenübergreifend.

Nachschau und Ausblick

Diese vielfältigen Ideen werden derzeit ausgewertet, die aufgezeichneten Fokusgespräche und die Podiumsdiskussion fürs Internet aufbereitet. Sie sollen ab Ende Jänner auf der Projektwebseite www.weltcafenachhaltigkeit.com und auf dem YouTube-Channel nachgesehen werden können. Weiters werden gerade die Möglichkeiten einer weitergehenden, wissenschaftlichen Auswertung und Formatentwicklung geklärt, sowohl betreffend des Weltcafé Nachhaltigkeitskommunikation als auch der didaktischen Konzeption in Form eines hybriden Curriculums zur Implementierung der Nachhaltigkeitskommunikation in der Kommunikationswissenschaft. Themen für dieses an der Schnittstelle von Wissenschaft, Lehre und Praxis ansetzende Diskursformates gäbe es genug.


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